Reihe von Gewaltexzessen blamiert Hamburger und Berliner Polizei
Serkan Bicens Ausflug ins Schanzenviertel endete mit Fußtritten. Zwei Polizisten der Lerchenwache hatten ihn, als er an jenem fatalen Abend im Dezember 2008 gegen Mitternacht vor der Locco Bar telefonierte, unwirsch nach dem Ausweis gefragt und ins Gesicht geschlagen. „Dann wurde ich zu Boden gerissen, Handschellen klickten, und die Polizisten traten mit Füßen auf mich ein“, schilderte Bicen, Vorstandsmitglied der SPD in Altona.
Ähnliches haben in Hamburg schon viele erlebt. Dabei geht es nicht einmal um die Gewaltexzesse von Beamt_innen bei Demonstrationen oder Fußballspielen. Auch wer im Alltag ins Visier der Polizei gerät, wird mitunter attackiert. In Berlin wurden im letzten Jahr ebenfalls etliche Übergriffe dokumentiert. Zuletzt wurde ein Radfahrer, der angeblich ohne Licht fuhr, schwer verletzt. Als die Polizisten ihn ansprachen, war er in einen Hauseingang geflüchtet. Daraufhin schlugen die Beamten mit dem Schlagstock auf ihn ein. Im Krankenhaus wurden am Kopf des Opfers vier 1,5 bis 2 Zentimeter lange „Schnittwunden mit klaffenden Wundrändern“ festgestellt. Für seine Flucht hatte der Radfahrer gute Gründe. Vor drei Jahren war er bei einer grundlosen Polizei-Kontrolle schon einmal vermöbelt worden.
Auf dem Papier können sich Polizeiopfer wehren. Serkan Bircen erstattete Anzeige wegen Körperverletzung und Beleidigung. „Das haben die nur gemacht, weil ich südländisch aussehe“, sagte er der MOPO. Konsequenzen für die Beamten sind aber unwahrscheinlich. In Hamburg wurden zwischen 1999 und Juli 2008 2.440 Ermittlungsverfahren gegen Polizist_innen wegen Körperverletzung im Amt vom Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) geführt, ergab eine Anfrage der Fraktion die.Linke. Trotzdem wurde durch die Staatsanwaltschaft von 2003 bis 2005 nur gegen 17 Polizist_innen Anklage erhoben. In den Jahren 2006, 2007 und 2008 ist von der Staatsanwaltschaft nicht ein einziges Anklageverfahren eingeleitet worden.
Die vielen tausend Betroffenen haben die zu ihren Anzeigen führenden Martyrien wohl kaum alle erfunden. Dass es so viele Fälle folgenlose Polizeigewalt gibt, zeigt strukturelle Defizite, die es den Opfern unmöglich machen, Recht zu bekommen. Polizist_innen wird vor Gericht routinemäßig mehr geglaubt als anderen Zeug_innen, obwohl vielfach belegt ist, dass sich Beamte zum Lügen absprechen. Oft stehen einem Gewaltopfer mehrere Beamt_innen gegenüber, deren Identifikation zudem durch eine einheitliche Uniformierung ohne Namensschilder erschwert wird.
Weil Interventionsmöglichkeiten und Definitionsmacht im Verhältnis von Polizei und Gewaltopfern so ungleich verteilt sind, wären Korrektive nötig, die die Rechenschaftspflicht gewalttätiger Beamt_innen garantieren. Doch die gibt es in Hamburg nicht mehr. Bewährt hatte sich die 1996 in Hamburg eingerichtete „Polizeikommission“. Sie wurde zum Jahresende 2001 unter Bürgermeister Ole von Beust aufgelöst, bis heute gibt es keinen Ersatz. In Berlin hat sich indes nach einer Reihe von Skandalen, bei denen Vorgesetzte Polizist_innen etwa anwiesen, die verbotenen Quarzsandhandschuhe anzuschaffen und ein Zivilbeamter in -Steinar-Kleidung bei einer Gedenkdemonstration zur Reichsprogromnacht provozierte, der Wind gedreht. Polizeipräsident Dieter Glietsch ist nun bereit, Namensschilder für fast alle Polizeieinheiten einzuführen.